EINE DREHUNG IST NICHT GLEICH EINE DREHUNG

 

Bei der Vorbereitung auf mein kommendes Seminar „Giros und Enrosques für Tango und Vals“ am 28. und 29. September entstand dieser Text für meinen Blog (den ich hiermit mal wieder aktiviere):

Ich fragte mich, warum es beispielsweise bei einer Linksdrehung bei manchen Tanzpaaren ruckt? Oder warum bekommt ein Tänzer eine Drehung mit einer bestimmten Partnerin hin, mit der anderen aber nicht, obwohl bei ihr dieselbe Drehung mit einem anderen Tänzer klappt?

 

Zwei Aspekte spielen aus meiner Sicht eine entscheidende Rolle:

1. Die musikalische Verbindung
2. Die mechanische Verbindung

 

 

Zu 1: Die musikalische Verbindung

 

Diese bestimmt das Tempo der Bewegung. Harmonie entsteht bei gleicher Geschwindigkeit. Wenn sich ein Partner rhythmisch bewegt, der andere aber melodisch geht und dreht, dann wird die Harmonie gestört. Das muss einem bewusst sein. Auch die Emotionen und die Wechselwirkung im Paar spielen eine große Rolle. Viele Paare hören die Musik zwar ähnlich, bilden jedoch nur die Akustik ab, wirken daher mechanisch. Andere wiederum hören die Musik zwar ähnlich, tanzen jedoch jeder für sich passioniert in der Musik, sie fühlen also die Musik z.B. romantisch, melancholisch oder dramatisch. Das sind übrigens die meisten „guten“ Tänzer. Aber vielleicht kennt ihr das, dass man sich beim Zuschauen denkt: „Something is missing“. Diese Tanzpaare, auch wenn es gut aussieht, sind trotzdem nicht verbunden. Ich behaupte, man könnte bei ihnen heimlich den Partner/ die Partnerin wechseln, ohne dass sie das merken (bzw. ohne dass es sich auf ihren Tanz auswirkt).
Es gibt in der Tat nur wenige Paare, zumindest empfinde ich das so, bei denen die Verbindung im Vordergrund steht, der Partner/ die Partnerin ist nicht austauschbar, im Gegenteil, er/sie ist die treibende Kraft, er/sie beeinflusst die Emotionen, die Sinnlichkeit und somit den ganzen Tanz. Bei diesen Paaren ist eine elektrisierende Wirkung zu spüren.

 

Zusammengefasst würde ich sagen: das Musikempfinden, das Tempo und der Passionsgrad beeinflussen, ob die Elemente harmonisch oder gar göttlich ausgeführt werden oder nicht. D.h. Es hängt also davon ab, ob beide Partner die Musik gleich hören (melodisch oder rhythmisch) (1), und wenn ja, ob sie nur die Akustik abbilden (2) oder ob sie zwar mit Emotionen zur Musik, aber jeder für sich tanzen, der Partner also austauschbar ist (3) oder ob das Ganze in einer echten Verbindung, einer Verschmelzung passiert, die instinktiv abläuft (4).

Freilich, für eine technisch saubere Ausführung der Drehung reicht es, – in Bezug auf das Musikempfinden – dass beide die Musik so ähnlich hören, dass sie in der gleichen Geschwindigkeit tanzen. Damit es dann mit der Drehung klappt, ist es noch wichtig, sich Gedanken über die mechanische Verbindung zu machen.

 

 

Zu 2: Die mechanische Verbindung

 

Diese definiert, wie sich zwei Körper umarmen. Eine Umarmung über die Hände, Arme und eine zum Teil leichte Berührung der Seiten, bezeichne ich als eine punktuelle Verbindung. Durch diese Berührungspunkte findet die Kommunikation statt; hier laufen die Signale zum Führen und Folgen.
Bei Oberkörper-Vollkontakt hingegen ist die Verbindung flächig und die Kommunikation daher eine andere.
Bei ersterem stehen beide Partner mehr oder jeder auf ihrer Achse, d.h. zwei Achsen und zwei Gleichgewichtspunkte. Bei letzterem sind die beiden Körper richtig verbunden, so dass es EIN Gleichgewicht im Paar gibt. Wenn sich beide Gleichgewichtspunkte verbinden, ändert sich die Mitte von jedem der beiden Tänzer – die Körpermitte verschiebt sich nach hinten (dagegen schieben Tänzer beim Standardtanz ihre Mitte nach vorne).

Ich unterscheide im Folgenden zwischen einem offenen oder halboffenen Stil (Punkt-Verbindung) und dem Milonguero-Stil (flächige Verbindung). Ich nenne ersteren „klassisch“, da er häufig von den Salonisten und von den Bühnentanzpaaren verwendet wird (für viele sind diese beiden Gruppen konträr, ich schmeiße sie dennoch stiltechnisch in einen Topf). Ich möchte die beiden Stile aber gar nicht bewerten.
Im offenen/halboffenen Stil führen die Körper bestenfalls eine Torsion aus, während beim Vollkontakt die Elastizität ganzheitlich gebraucht wird: Die Körper dehnen sich, drehen sich, biegen sich, gehen runter und strecken sich. Schon beim Laufen muss sich der Körper dehnen. Das Bein der Frau streckt sich nicht nur nach hinten, es dehnt sich so, dass die Bewegung aus der Körpermitte zu kommen scheint. Es entsteht der Eindruck, dass das Bein der Frau nicht am Becken beginnt, sondern bei den Rippen.

 

Was bedeutet das für die Drehung?

 

Als Tete uns seine Art zu drehen gezeigt hat, haben wir diese zunächst nicht hinbekommen, denn wir tanzten im offenen Stil. Erst nachdem ich Vollkontakt hergestellt hatte, konnte ich seine Drehung nachtanzen. Meine damalige Tanzpartnerin hat immer intuitiv reagiert und sich mit mir gedehnt und die Schritte zu mir gesetzt, daher hat es funktioniert. Doch als ich Milongeuro-Drehungen mit anderen Frauen versuchte, mit denen ich sonst toll offen tanzen konnte, hat es nicht funktioniert. Es reicht also nicht, dass der Führende den Kontakt herstellt, die Folgende muss auch voll elastisch sein und dies einsetzen.
Drehungen sind übrigens auch im offenen Stil von der Form des Körpers abhängig. Ich erinnere mich, wie wir in einem Workshop bei Todaro versuchten, einen Richtungswechsel zwischen den vielen Drehungen, die er gezeigt hat, hinzubekommen. Bei ihm sah es gut und leicht aus, doch beim Nachmachen war es sehr schwer. Ich habe erkannt, dass ich erst Todaros Köper ‚abbilden‘ muss. Todaro hatte seinen Oberkörper leicht vorne, sein Becken hinten und er ging ins Knie – als ich dies nachahmte, funktionierte es. Die damalige Lektion für mich: Drehungen sind körperform-abhängig.

 

 

Fazit

 

Bedingt durch die Punkte 1 und 2 wird die technische Ausführung des Tanzens bzw. Drehens beeinflusst. Nehmen wir als Beispiel die große Rechtsdrehung im offenen Stil: Da wird oft die Bewegung erst melodisch angesetzt, so dass die Frau einen sehr stark großen Rückschritt macht (fast überdreht), um dann schnell rhythmisch um den Partner zu laufen. Sie muss also ihre Schritte an den Stil anpassen und an die Musik. Beim Giro Cortado im Milonguero-Stil setzt die Frau ihren Vorschritt dagegen stark verdreht zum Partner gerichtet. Der Vorschritt wird beinahe zum offenen Kreuz. Wenn die Frau so um den Mann läuft, wie sie im offenen Stil immer läuft, wird es schwer funktionieren.

 

Durch meine monatlichen Seminare habe ich viel gelernt. Meine Schüler*innen und die Tanzlehrer*innen aus meinem Team bringen mich dazu, über all dies nachzudenken und Dinge, die ich intuitiv mache, auch gedanklich zu durchdringen und zu verstehen.

Übrigens, das Seminar über Drehungen findet einmal im Jahr statt. Der nächste Termin ist am 28. und 29. September.

Ich freue mich auf jeden, der dabei ist.

 

© Copyright 2019 Emile Sansour

 

 
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