WAS IST EIGENTLICH MILONGUERO?

 

(Bild: Tete & Silvia Lausanne; Fotograf: Jim Zimmermann)

 

Der Stil „Milonguero“ ist in aller Munde. Oft hört man, das sei die Art, wie in BsAs Tango getanzt wird. Doch seit wann gibt es Milonguero überhaupt? Ist das der Stil der Vierziger oder hat es das schon immer gegeben? Wer hat diesen Stil erfunden und gepflegt und warum lohnt es sich, sich damit zu beschäftigen?

 

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Warum sollte man sich mit Milonguero beschäftigen?

 

Folgende Besonderheiten oder Vorteile lassen sich bei Paaren, die Milonguero tanzen, ausmachen:

1. Ästhetisch, innig und schön anzugucken: Das Paar gibt in der Milonga ein schönes, ästhetisches Bild ab. Insbesondere die Frauen sehen dabei elegant, innig und oft sexy aus.

2. Gepflegtes und soziales Tanzen: „Milonguero-Paare“ werden in den Milongas gerne gesehen.

3. Intensität der Musik: Man kann variantenreich tanzen, aber eben nicht mittels Kombinationen, sondern mittels der Dynamik und der Intensität der Musik.

4. Die Rolle der Frau: Wenn die Musik im Vordergrund steht, bleibt für die Frau viel Zeit, sich musikalisch einzubringen. Dadurch wird der Tanz bereichert und kann sehr eindrucksvoll wirken.

5. Körperbeherrschung und Technik: Tänzer, die viel Milonguero tanzen, können ihren Körper oft besser zu einem Tango-Körper formen. Auf diese Weise können sie auch flexibel zwischen den Stilen wechseln und sind gar nicht immer auf Milonguero festgelegt. So wird die eigene Art, Tango zu tanzen, reicher.

 

 

Wer hat Milonguero getanzt?

 

Die Renaissance des Tangos begann Ende der Achtziger. Welche alten Milongueros, gab es damals? Die Bekanntesten sind Antonio Todaro, Pepito Avellaneda, Pupi Castello, Eduardo Arquimbau, Carlos Copes, Mingo Pugliese und Carlos Gavito. Doch keiner von ihnen hat das getanzt, was man heute unter Milonguero versteht. Es gibt einen Clip, wo viele ältere Paare in Buenos Aires Tango tanzen. An ihren Füßen lässt sich ihr Alter zunächst nicht erkennen, bis man ihre Gesichter sieht. Ein sehr beeindruckender Clip. Was auffällt ist, dass kein einziges Paar unter ihnen Milonguero tanzt.

 

 

Später kamen Tänzer wie Tete und Dante mit dem engen Stil in Berührung. Carlos Gavito hat diesen Stil auch manchmal in seiner Show verwendet, um seinem Tanz eine dramatische Note zu verleihen. Meines Wissens gab es den Begriff „Milonguero“ nicht von Anfang an. Erst später hat sich der Begriff etabliert, obzwar er nicht einheitlich gebraucht wurde.

 

 

Was ist Milonguero-Stil überhaupt?

 

Der Begriff wird heute sehr verallgemeinert und ungenau verwendet. Oft steht er für enges Tanzen in der Milonga, für salon-tauglichen Tango, für den Tango in den Salons von BsAs oder für rhythmisch getanzten Tango. Viele verwenden Bezeichnungen wie „Tango de Salon“, „Tango-Club“, „Tango de Pista“ und „Social Tango“ als Synonyme für Milonguero. Manche verwechseln sogar Milonguero mit minimalistischem Tanzen.

 

Doch all diese Bedeutungen und Eigenschaften beschreiben noch keinen Stil. Denn in der Milonga kann man sowohl geschlossen als auch offen tanzen. Auch in der engen Umarmung sind unterschiedliche Stile möglich – mit partiellem oder mit vollem Oberkörperkontakt. Selbst beim Vollkontakt kann man unterschiedlich in der Umarmung stehen: Jeder kann für sich stehen oder man definiert mit dem Partner ein gemeinsames Gebilde, wo jeder mit dem Oberkörper mehr oder weniger stark zum Partner geneigt ist.

 

Ich habe den Begriff zum ersten Mal Anfang der 90er Jahre von Juan Lange gehört. Doch damals war noch lange nicht klar, was darunter verstanden werden sollte. Juan hat unter Milonguero damals einen offenen Stil verstanden, um diesen von einem geschlossenen Stil, den er „Tango de Salon“ nannte, zu unterscheiden – doch bald hat er den Begriff verworfen.

 

Tete, der heute für viele als Papst des Milonguero-Stils gilt, habe ich mehrmals nach Heidelberg und Stuttgart eingeladen und mit ihm gearbeitet. Schon damals wussten wir nicht, wie wir diesen Stil nennen sollten. Anfangs hat Tete ihn selbst als „Tango de Salon“ bezeichnet, später hat er das revidiert und ihn zu „Tango-Milonguero“ umgetauft. Mitte der 90er Jahre haben Susanna Miller und Dante den Begriff „Milonguero“ verwendet und populär gemacht. Damit meinten sie den engen, rhythmischen Tango, den sozialen Tango, der in den Salons von BsAs getanzt wird (siehe auch Wikipedia). Doch die meisten alten Milongueros aus BsAs haben weder den Tete-Stil noch Milonguero nach Susanna Miller und Dante getanzt.

 

Einige Tanzpaare aus den Niederlanden (Nimwegen/ Utrecht) haben den Stil von Tete gepflegt. Sie haben ihn als „Milonguero“ bezeichnet und in Europa beliebt gemacht. Ich schließe mich den Kollegen aus Holland an und verwende den Begriff „Milonguero“ für den Tete-Stil, weil dieser genau definiert ist. Tetes Stil ist einzigartig. Er zeichnet sich wie kein anderer Stil durch eine gekippte Umarmung und Vollkontakt aus, bei dem die Frau regelrecht auf dem Oberkörper, mitunter manchmal auch auf dem Bauch des Mannes, liegt. Dennoch ist die Umarmung sehr flexibel. Das Gehen und Drehen in diesem Stil gestaltet sich durch die Umarmung als Rahmenbedingung anders.

 

 

Wer tanzt heute noch Milonguero und wie sieht die Zukunft aus?

 

Wenn ich mich umschaue, dann finde ich heutzutage wirklich wenige Paare, die „richtig“ Milonguero (im Sinne von Tete) tanzen. Der Begriff „Milonguero“ ist zwar in aller Munde. So tanzt man bei „Encuentros“ oder auf auch auf „Marathons“ ausschließlich in der engen Umarmung. Doch auch wenn die Paare dort diszipliniert, achtsam und gepflegt tanzen, so tanzen doch die wenigsten unter ihnen Milonguero nach der obigen Definition. Auch unter den jüngeren Profi-Tanzpaaren fallen mir nur wenige ein.

 

An den wenigen Paaren, die den „Milonguero-Stil“ beherrschen und pflegen, lässt sich aber auch beobachten, dass in den letzten 10 bis 20 Jahren einiges an Entwicklung stattgefunden hat. Ich würde sagen, dass man im Tango viele neue Erkenntnisse gewonnen hat, die hauptsächlich in die beiden Stile „Milonguero“ und „Nuevo“ eingeflossen sind. Milonguero ist also keineswegs eine verstaubte Art zu tanzen.

 

Milonguero ist daher auch überhaupt nicht vergleichbar mit den Tanzpaaren, die ihren Tanz mit einem Seitschritt beginnen, anschließend mit großen melodischen Schritten nach vorne gehen, die Frau mal mit rechts, mal mit links stoppen – oft wartend, dann wieder schreitend – und gelegentlich auch kleine rhythmische Schritte und zwischendurch die eine oder andere große Drehung tanzen. Diese Art zu tanzen betrachte ich eher als „klassischen Salon“ (meine Bezeichnung). Klassisch deshalb, weil hier meiner Ansicht nach wenig Entwicklung stattgefunden hat. Tangolehrer, die diese Art zu tanzen unterrichten, sprechen viel über Ausdruck, Haltung und Achse. Ich muss gestehen, dass ich diese Art von Tango nie gemocht habe. Sie unterscheidet sich m. E. wenig von klassischen Show-Tänzern. In der klassischen Show kommen noch weitere Elemente hinzu, wie Enrosques, Ganchos und Boleos, die oft hart und schnell getanzt werden. Ich bin weder ein Fan der klassischen „Salonisten“ noch der klassischen Show-Tänzer. Denn diese Art zu tanzen wirkt auf mich statisch, unflexibel und manchmal hart.

 

Das ist meine persönliche Sicht der Dinge und sicherlich auch eine Geschmacksfrage. Ich möchte hier keinen Stil schlecht machen. Letztlich ist alles Tango und der Tango lebt von der Vielfalt. Ich möchte aber begründen, warum ich mich für den Milonguero Stil und den Nuevo Stil mehr begeistern kann:

Die Gemeinsamkeiten von Milonguero und Nuevo sind nämlich verblüffend. Beide Stile zeichnen sich durch Geschmeidigkeit, Elastizität und Kontinuität aus. Dadurch lassen sich beide Stil gut verbinden, d. h. man kann von einem in den anderen auch übergehen. Darüber hinaus sind sie besonders variabel, ideenreich und modern. Und das Wichtigste: Das Tanzpaar lebt!

Ich bin davon überzeugt, dass die Zukunft den beiden Richtungen „Milonguero“ und „Nuevo“ gehört und das Mixen verschiedener Stile noch viel verstärkter stattfinden wird.

 

Quellen:

www.en.wikipedia.org/wiki/Milonguero_style

 

© Copyright 2018 Emile Sansour

 

 

 

 
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